Das Filmakademie-Projekt CYBERCITY LOVESTORY ist mehr als eine ausgeklügelte Science-Fiction-Serie voller atemberaubender Effekte und Settings. Es zeigt, wie sich künftig die Grenzen zwischen Film, Fernsehen und Gaming weiter verschieben.
Die Menschen der Zukunft haben sich auf dem Mars angesiedelt. Sie leben in einer riesigen, fabrikähnlichen Anlage, die betrieben wird von einem Großkonzern namens Uncharted Space Company (USC). Dort ist die 15-jährige Elaine geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist bei USC Chefprogrammiererin der sogenannten ANA-AIs. Diese hochentwickelten, künstliche-Intelligenz-Systeme begleiten alle Menschen auf dem Mars als eine sprechende, persönliche Assistenz. Derzeit arbeitet die Mutter an einem neuen AI-System namens LILO, das speziell für die Bevölkerung auf der Erde entwickelt wurde.
Elaine ist ein einzelgängerisches Mädchen, dessen beste Freundin ihre ANA-AI ist. Sie hat wie viele Teenager ein eher problematisches Verhältnis zu ihrer Mutter, obwohl diese die Schöpferin ihrer wichtigsten Bezugsperson ist. Eines Tages macht Elaine einen Spaziergang außerhalb der Anlage auf der Marsoberfläche – etwas, das ohne Autorisierung eigentlich streng verboten ist. Ein Missverständnis führt zu einem heftigen Streit zwischen Elaine und ihrer Mutter.
Nach der Auseinandersetzung zieht sich Elaine an ihren Lieblingsort der Marsstation zurück, der botanischen Anlage. Dort findet sie zwischen den Pflanzen eine antiquierte VR-Brille. Es scheint, als habe sie dort jemand für sie hinterlassen. Als sie diese aufzieht, landet sie in einer eigenen Welt, der sogenannten Cybercity. Diese Virtuelle Realität ist rauer, lauter und schmutziger als die Welt, die sie kennt. Elaine gerät hier sogleich in eine Schießerei, dennoch ist sie begeistert von ihrer Entdeckung.
Nach und nach stellt sich heraus, dass die Cybercity eine Art Darknet der Zukunft darstellt, ein vom herrschenden System unkontrollierter Raum. Und dass ihre Mutter keineswegs nur die konservative, linientreue Entwicklerin ist, für die sie Elaine hält. Vielmehr ist sie eine Whistleblowerin, die die kriminellen Machenschaften der Space Company rund um die neue LILO-AI aufdecken will. Dafür hat sie sich in der Cybercity einer Hackergruppe angeschlossen. Ihr Unterfangen flog jedoch auf, kurz bevor es zum Streit mit ihrer Tochter kam.
Elaine übernimmt gleichzeitig mit der Brille, zunächst unbewusst, den Cybercity-Avatar der Mutter. Dadurch wird sie in dieser Welt unentwegt gejagt. Glücklicherweise findet sich ihre ANA-AI perfekt in der Cybercity zurecht und verfügt dort über ungeahnte Fähigkeiten. Bald stößt Elaine auf die Hackergruppe, lernt einen Jungen kennen und findet allmählich die Wahrheit heraus. In der realen Welt ist Elaines Mutter plötzlich verschwunden. Sowohl in der virtuellen Realität der Cybercity als auch auf dem Mars entspinnt sich eine atemberaubende Geschichte.
Der Plot von CYBERCITY LOVESTORY klingt zuallererst nach gut durchdachter, klassischer Science-Fiction. Das Projekt geht jedoch darüber hinaus: Diesem gelingt mit seiner spezifischen Story eine innovative Verbindung zwischen einer Serienerzählung und einem Videospiel. Denn die Handlung, die sich in der VR-Welt der Cybercity abspielt, ist ein Game. Die Geschichte, die auf dem Mars spielt, wird dagegen linear erzählt, wie in einem herkömmlichen Film. „Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Storyline durch beide Formate geht“, erklärt die Regisseurin Carly Schrader, deren Abschlussprojekt CYBERCITY LOVESTORY im Studiengang Szenische Regie an der Filmakademie ist. „Die Story kann also nur konsumiert werden, indem du sowohl Film als auch Spiel durchläufst.“
Das Drehbuch der Serie schrieb Lane Dabringhausen. Der Clou sei laut Lane, dass die ZuschauerInnen der Hauptfigur in das Spiel folgten. „Sobald Elaine die VR-Brille aufsetzt, setzen sie ebenfalls die Brille auf und sind damit im Game.“ Wie Regisseurin Carly betont, ist das Spiel damit kein unabhängiges „Add-On“ für den Film, wie es dies schon bei vielen anderen Medienprodukten gebe. Indem Nutzerinnen und Nutzer das immersive VR-Game spielen, treiben sie vielmehr die Erzählung voran.
Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Storyline durch beide Formate geht. Die Story kann also nur konsumiert werden, indem du sowohl Film als auch Spiel durchläufst.
Carly Schrader, RegisseurinFür das Spiel ist Eddy Schäfer als Game Designer verantwortlich. Er macht mit CYBERCITY LOVESTORY seinen Abschluss in der Studienvertiefung Interaktive Medien am Animationsinstitut der Filmakademie. Um technisch das Gameplay stringent mit dem Film zu verknüpfen, behalf sich das Team mit einem Trick: „Damit sich die Handlung durch die Spielenden nicht verselbständigen kann, schlüpft man im Spiel nicht in die Rolle von Elaine, sondern von ihrer AI ANA“, verdeutlicht Eddy. Das Gameplay beruht also darauf, der Hauptfigur bestmöglich zu assistieren. Elaines Verhalten im Handlungsstrang bleibt von den Spielenden jedoch unberührt.
Der Serienpilot, der laut Regisseurin Carly voraussichtlich Ende des Jahres 2022 veröffentlicht werden soll, hat eine Länge von etwa 45 Minuten. Dazu kämen circa 10 bis 15 Minuten Gameplay. Für ein Studierendenprojekt ist damit CYBERCITY LOVESTORY außergewöhnlich umfangreich. Wie Head Producer Yili Baumann und der Transmedia/Game Producer Julius Dorsel betonen, liege die Möglichkeit, die Filmaufnahmen in einem größeren Rahmen zu verwirklichen unter anderem an einem besonderen Umstand: „Wir haben das Glück, an der Filmakademie in einem LED-Wall-Studio drehen zu können“, so Julius.
Visuelle Effekte in Realfilmen werden in der Film- und Medienbranche zunehmend mithilfe hochauflösender LED-Bildschirmwände kreiert. Die großen LED-Screens erfüllen dabei auf Filmsets die Rolle eines virtuellen Bühnenbilds. Diese Anwendung der Technologie ist noch in der Entwicklungsphase. Die Research & Development-Abteilung des Animationsinstituts der Filmakademie forscht etwa zwei Monate im Jahr mit einem eigenen LED-Wall-Studio intensiv an neuen Workflows mit der Technik. In dieser Zeit können Studierende ihre Produktionen mit der neuartigen Technik drehen. (Mehr Infos zu LED-Wall-Sets, gibt’s hier).
Ein entscheidender Vorteil der LED-Walls auf Filmsets ist, dass Reisen von Crews minimiert werden können, wodurch Drehs nicht nur günstiger, sondern auch umweltfreundlicher sind. Auch lassen sich damit effizienter und weniger aufwändig außergewöhnliche Sets kreieren: „Wir konnten beeindruckende Bilder vom Mars erschaffen, ohne in die Wüste zu fahren“, schwärmt Carly von der neuen Technik, „wir haben digital einen Teil des echten Mars anhand Daten der NASA nachgebaut.“ Das wäre mit herkömmlichem Stage Design hinsichtlich der Ressourcen nicht möglich gewesen. Auch die Darstellerinnen konnten laut Carly durch die Screens grandios spielen, denn die computergenerierten Bilder sind am LED-Set in Echtzeit zu sehen und werden nicht wie bei der bisher üblichen Greenscreen-Technik nur indirekt für die Darstellenden sichtbar. Hinsichtlich der eindrucksvollen Filmaufnahmen hebt die Regisseurin zudem die Leistung der Szenenbild-Studierenden Anna Vehres hervor. Diese kreierte bei dem Projekt vor den Screens das reale Set Design, das die Aufnahmen erst echt wirken lässt.
Game Designer Eddy, der bei den Filmaufnahmen am LED-Wall-Set auch als Technical Artist fungierte, betont noch einen weiteren glücklichen Faktor der Produktion: „Das Projekt konnten wir größer denken, weil wir durch den AUREA-Award an zusätzliche Mittel kamen.“ Der AUREA Entertainment Förderpreis wird seit 2021 im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der Filmakademie Baden-Württemberg und MackNeXT (Europa-Park) vergeben. Die Prämierung erhalten „innovative und hochwertige studentische Konzepte für mediale/filmische Projekte mit hohem Unterhaltungswert“. Das Team von CYBERCITY LOVESTORY gewann 2021 damit nicht nur 3.000 Euro Preisgeld. Es bekam darüber hinaus auch die Zusage, das Projekt in Koproduktion mit dem Innovations-Labor des Europa-Parks fertigstellen zu können. MackNeXt steuerte so 100.000 Euro für die Produktion bei und verwendet die Serie möglicherweise nach ihrer Fertigstellung für die Europapark-VR-Attraktion Yullbe.
„Durch den Award können wir derzeit viel Energie in die Entwicklung des Spiels stecken“, erzählt Eddy. Daran arbeite derzeit ein großes Team, etwa auch Studierende der Hochschule der Medien in Stuttgart im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Filmakademie. Auch Regisseurin Carly unterstreicht die Hilfe durch den Award: „Wir waren durch das Geld auch in der Lage, professionelle DarstellerInnen zu organisieren, die wir in ganz Europa casteten.“
„Das Projekt habe für die Filmakademie und das Animationsinstitut eine gewisse Leuchtturmstellung“, betont Anna Brinkschulte, die leitende Dozentin in der Studienvertiefung Interaktive Medien am Animationsinstitut. „Das durchgängige transmediale Storytelling ist ein überaus innovativer Ansatz“, so Anna. Es repräsentiere vorbildlich die Grundidee der Studienvertiefung Interaktive Medien, die eine enge Verzahnung filmischer Mittel mit anderen Medien zum Gegenstand hat. Sie sei froh, dass Carly ihrem Vorhaben so konsequent gefolgt ist, bei ihrem Abschlussprojekt eine schlüssige Vereinigung zwischen Computerspiel und Film zu erreichen. Mit Eddy wäre sie auf jemanden getroffen, der mit ihr das Projekt auf technisch sehr hohem Niveau umsetzen konnte. „Gemeinsam leisten die beiden mit ihrem Team Außerordentliches“, stellt Anna fest.
Das Projekt hat für die Filmakademie und das Animationsinstitut eine gewisse Leuchtturmstellung. Das durchgängige transmediale Storytelling ist ein überaus innovativer Ansatz.
Anna Brinkschulte, leitende Dozentin Interaktive Medien„Grundsätzlich geht es uns darum, ein lineares Projekt mit einem interaktiven Medium zu verbinden“, erklärt Eddy. „Wir folgen damit dem Kerngedanken von Mixed Reality, in der Dinge, die man in der realen Welt tut, mit Handlungen in einer virtuellen Welt kombiniert werden.“ Die Game-Experience sei zwar für die VR-Brille Oculus Quest entwickelt, die Serie müsse jedoch nicht unbedingt mit einer VR-Brille gesehen werden, betont er. Auch eine VR-Cinema-App für TV-Geräte sei denkbar.
Für Anna Brinkschulte ist damit CYBERCITY LOVESTORY möglicherweise ein Beispiel für cineastische Mixed-Reality-Formate, denen man künftig häufiger begegnen könnte. Ein Markt, der solche spezifischen Storytelling-Lösungen benötigt, ist ihrer Ansicht nach derzeit im Entstehen. „In den vergangenen Jahren gab es viele gute Ideen für transmediale Erfahrungen, doch häufig mangelte es an der Infrastruktur dafür,“ erklärt die Dozentin. Diese sei bisher oft zu teuer gewesen, sodass sich kein Massenmarkt dafür etablieren konnte. Hoffnung macht ihr derzeit aber der Streaming-Anbieter Netflix. Er hat in letzter Zeit viele Start-ups aufgekauft, die Systeme für Mixed-Reality-Formate entwickelt haben. „Das deutet darauf hin, dass sich auf diesem Feld in naher Zukunft wahrscheinlich einiges bewegt“, so Anna.
Daher glaubt sie, dass das Team mit dem fertigen Projekt bei Netflix vorstellig werden kann. „Ich denke, sie haben gute Chancen, die Serie dort weiterzuführen.“ Es könnte also sein, dass von dem außergewöhnlichen Serienprojekt CYBERCITY LOVESTORY bald noch einiges zu hören sein wird.