Wohin mit der Trauer?

Arche Mama

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Die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod gilt als eines der letzten gesellschaftlichen Tabus. Dabei sei Trauer „eine unglaublich kraftvolle Emotion, die ähnlich intensiv wie die Liebe ist“, findet Ella Estrella Tischa Raetzer. In ihrem Diplomprojekt im Bereich Interaktive Medien verarbeitete sie den Tod ihrer Mutter auf ausgesprochen eindrückliche Weise.  

Während Ella an der Filmakademie studierte, starb ihre Mutter im Alter von 46 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt. Dieser Schicksalsschlag drohte ihr den Boden unter den Füßen wegzureißen. Den persönlichen Verlust verarbeitete sie in einer begehbaren, audiovisuellen Rauminstallation mit dem Titel Arche Mama. Sie schuf damit einen Platz für ihre Trauer – einen Schutzraum, wie sie es nennt. Er steht zugleich für den Kampf um die Rückeroberung des Lebens, dem sich viele Trauernde nach einem Verlust stellen müssen.

Die Arche Mama ist ein an einen Mutterleib erinnernder Raum, in den das Publikum hineinkriecht und dort eine emotionale Reise erfährt. Auf Röhrenfernsehern erzählen darin VHS-Aufnahmen ihres Vaters vom Leben ihrer Mutter in Ellas ersten zehn Lebensjahren. Ella untermalte sie mit selbstkomponierter Musik sowie ihren Tagebuchaufzeichnungen. Unter anderem dokumentieren diese die Zeit, in der ihre Mutter im Krankenhaus mit dem Tod rang, oder Ellas Erschütterung, nachdem sie gestorben war. Eine schonungslose, mutige und genau deshalb so starke Arbeit.

 

Interview mit Ella Estrella Tischa Raetzer

 

Liebe Ella, du konfrontierst in deiner Installation das Publikum mit dem Tod deiner Mutter und deinen damit verbundenen Gefühlen. Welche Intention verfolgst du mit dem Werk?

Eine Rolle spielt, dass ich Erfahrungen machte, die zwar zum Leben dazugehören, aber mit einem Tabu behaftet sind. Betroffene haben oft Angst, das Thema außerhalb von Trauerberatungen und Therapien anzusprechen. Dennoch müssen sie damit im Alltag fertig werden. Daher wollte ich meine Erfahrung teilen und in meiner Art und Weise zeigen, dass es möglich ist, da wieder rauszukommen sowie dazu ermutigen, Verlust als Teil des Lebens zu akzeptieren.

 

War diese intensive Auseinandersetzung nicht ungemein anstrengend?

Natürlich. Erst beim Sichten und Digitalisieren der VHS-Kassetten wurde mir bewusst, was die Videos in mir auslösen und dass ich mich ganz unbewusst der Trauer, welche ich bis dato nicht richtig zugelassen hatte, näherte und ihr auch nicht mehr ausweichen konnte. Es hat sehr viel Mut gekostet, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die Umsetzung war eine Trauerarbeit.

 

Die Installation erzählt eher linear, wieso hast du dich gegen Interaktivität entschieden?

Lange war mir gar nicht klar, von was meine Diplomarbeit handeln soll. Ich wusste nur, dass ich eine Installation mit analoger Technik, also Röhrenfernsehern und VHS-Kassetten machen möchte. Am liebsten interaktiv. Da mein Vater damals viel gefilmt hat, war es für mich naheliegend, damit zu arbeiten. Die Entscheidung, dass die Installation nicht interaktiv sein wird, kam erst ganz spät im Entwicklungsprozess. Mir war wichtig, ein medial räumlich-immersives Erlebnis zu schaffen, das viele Sinne anspricht. Im Mittelpunkt stand der Raum mit seiner Intimität, die sich etwa in einem Kinosaal nicht erreichen lässt.

 

Die Arche stand im Getrag-Areal, für den Aufbau hast du mitunter mit Studierenden anderer Hochschulen kooperiert...

Ja, ich hatte ein tolles Team. Es war wertvoll und heilsam, mit ihnen gemeinsam an Arche Mama zu arbeiten. Damit verbinde ich warme Erinnerungen. Technisch half mir etwa Ludwig Rensch, ein diplomierter Designer von der Akademie der Bildenden Künste. Bei der Bearbeitung die Dramaturgin Lena Meyerhoff von der Akademie für Darstellende Kunst. Ganz lange haben wir an den Tagebuchtexten gearbeitet, um einen dramaturgischen Bogen zu schaffen, sie nicht umgeschrieben, aber sortiert und destilliert. Mir war es sehr wichtig, dass ich den Spagat zwischen meinem persönlichen Empfinden und dem Zugang für die Besuchenden schaffe.

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