Schwerelos im Animationskosmos

Projekt des Monats: GRAVEDAD

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Mit der Schwerkraft ist es so eine Sache. Sie hält uns stets am Boden, selbst wenn wir innerlich durch die Decke gehen oder in Gedanken versinken. Der Drang, immer „auf der Höhe“ zu sein, aber nie mental abzuheben. Der Zwang, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.

All das ist GRAVEDAD, der vielfach preisgekrönte Kurzfilm von Matisse Gonzalez. Die gebürtige Bolivianerin kam für ihr Studium am Animationsinstitut nach Deutschland und erhielt 2019 ihr Diplom; GRAVEDAD war ihr Abschlussprojekt. Nachdem der Film vielerorts Preise gewann, ist er nun endlich für alle zu sehen!

Auf den ersten Blick mögen die auf dem Kopf stehenden Kühe und sich rekelnde Tubaspieler manch einen irritieren. Matisses folgende persönliche Einblicke offenbaren jedoch die Tragweite von GRAVEDAD – vom inneren Loch bis zu den Sternen!

 

GRAVEDAD jetzt anschauen!

Regisseurin Matisse Gonzalez im Interview

Hallo Matisse! Wie hast Du Deine Liebe zur Animation entdeckt?

Es war keine Entdeckung über Nacht. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich meine Leidenschaft nicht nur für die Animation, sondern auch für das Schreiben und die Regie von Animationsfilmen festgestellt habe.


Zunächst einmal ist es in einem Land wie Bolivien sehr schwer zu begreifen, dass es Berufe wie den des Animators gibt. Erst als ich 18 wurde und einen Animationsworkshop besuchte, fand ich meine Liebe zu dieser Kunst. Lange Zeit wollte ich Storyboarderin werden, aber nach und nach, als ich herausfand, wer ich bin und was ich mag, wurde mir klar, dass ich meine eigenen Geschichten schreiben und inszenieren möchte: Tschüss zu meinem Traum der Storyboarderin, Hallo zu meinem Traum, eine unabhängige Filmregisseurin zu werden.

Wie bist Du zum Animationsinstitut gekommen?

Es war ziemlich kurios. Ich bewarb mich gleich bei mehreren deutschen Hochschulen. Nachdem die Zulassungsbescheide eintrafen, wurde mir erst wirklich klar, was für ein großes Glück ich hatte, dass ich letztlich an einer der besten Ausbildungsstätten für Animation in Europa studieren durfte. Mit der Zulassung am Animationsinstitut konnte ich mich dann auch um ein Stipendium bemühen.

Wie kam Dir die Idee zu GRAVEDAD?

Ohne allzu persönlich zu werden, basiert GRAVEDAD auf einer existenziellen Krise, die ich Ende 2016 hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es nichts auf der Welt gab, was mich ausgeglichen hat und „geerdet” hielt. Ich sah mir den Rest der Welt an und fragte mich, wie alle so glücklich sein konnten.

 

Zu dieser Zeit las ich gerade ein Buch von Kurt Vonnegut mit dem Titel „Slapstick”, in dem die Schwerkraft zufällig wechselt. Ich dachte, das sei die perfekte Metapher, um zu beschreiben, was in meinem Leben vor sich ging. Ich habe dann fast zwei Jahre gebraucht, um die Geschichte zu perfektionieren, ein Ende zu finden und diesen persönlichen Film für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Es ist sehr schwer, Filmemachen als Therapie zu nutzen – und dennoch tue ich es weiterhin.

„Dieser Stil [von GRAVEDAD] spiegelt das Herz des Publikums wider, anstatt es zu diktieren.“

Matisse Gonzalez, Alumna Animationsinstitut

Der Stil des Films ist einzigartig – wie kam es zu diesem?

Am Anfang strebte ich einen realistischen Stil an. Ich wollte die Gefühle der Figuren so detailliert wie möglich darstellen. Allmählich wurde mir aber klar, dass ich erstens sehr schlecht im Realismus bin und zweitens, je abstrakter und minimalistischer die Zeichnung ist, desto einfacher ist es, starke Gefühle auszudrücken. Wir Menschen können uns viel besser mit zwei Punkten und einer Linie identifizieren, da unserer Vorstellung so weniger Grenzen gesetzt werden. Dieser Stil spiegelt das Herz des Publikums wider, anstatt es zu diktieren.

 

Um noch einmal auf das Thema der Schwerkraft zurückzukommen…

Es gibt leichte Tage und es gibt schwere Tage. Die Schwerkraft steht für die Höhen und Tiefen, die wir alle im Leben erfahren. Manche Menschen können besser mit ihnen umgehen als andere. Wiederum andere, wie Rosa, die Protagonistin, lernen, sie zu respektieren und sie als Vorteil zu verstehen.

Auf dem Kopf schwebende Kühe…?!

Der Milchmann musste sich an etwas festhalten. Was ist besser geeignet als ein paar Euter, um sich am Boden zu halten?

GRAVEDAD war Dein Abschlussfilm. Wie ging es nach Deinem Studium für Dich weiter?

Nach GRAVEDAD konnte ich einen Pilotfilm für meine eigene Serie auf Cartoon Network Latinoamerica machen. Der Pilotfilm heißt ERA SOLO UNA ROCA QUE SE PARECIA A ALGUIEN (Es war nur ein Stein, der wie jemand aussah) und handelt von zwei Astronauten, die verrückt werden und anfangen zu halluzinieren. Den Film kann man hier sehen.

Gerade entwickle ich einen Spielfilm namens CONDENADITOS (Verfluchte Kinder) über eine bolivianische Familie und die Auswirkungen, die die Vergangenheit auf die Gegenwart hat.

 

Wir freuen uns schon sehr darauf, Matisse. Vielen Dank!

 

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