Physiker versus die Katze seines Nachbarn

Projekt des Monats: MULM

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In einer surrealen Wüste voller Backpacker versucht Physiker N. mit einem fernen Nucleus zu kommunizieren. Aufgerieben durch den ständigen Lärm der Katze seines Nachbarn, welcher ihn von seiner Arbeit abhält, gleitet er langsam in den Wahnsinn ab. Schaue jetzt MULM!

 

MULM jetzt anschauen!

 

Mit ihrem Diplomprojekt schufen Carol Ratajczak und Tobias Trebeljahr einen experimentellen Film, in dem nicht über Sprache, sondern nur mit Musik, einzelnen Klängen und Geräuschen kommuniziert wird. Welche Herausforderungen das mit sich zog, wie es zum ungewöhnlichen Design des Protagonisten kam und was Carol und Tobias heute so machen, erzählt euch Tobias selbst in folgendem Artikel. Viel Spaß!

Regisseur Tobias Trebeljahr über MULM

Von schmusenden Piraten zu surrealem Horror    

Carol und ich haben uns in unserem ersten Jahr an der Filmakademie kennengelernt. Wir hatten beide zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre in der Industrie hinter uns. Carol in Werbung und Visualisierung, ich in Concept Art und Games. Im ersten Studienjahr haben wir festgestellt, dass unsere Talente sich gut ergänzen und wir uns auch ansonsten prima verstehen. Danach haben wir quasi unsere ganze Zeit an der Filmakademie zusammengearbeitet.

 

Das größte Projekt vor unserem Diplomfilm war wohl unser Drittjahres-Film PIRATE SMOOCH, produziert im Rahmen des AniFilm/AniPlay-Semesters, an dessen Ende die entstehenden Filme damals noch die Möglichkeit hatten, als Festival Trailer des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgarts (ITFS) oder der FMX – Film and Media Exchange ausgewählt zu werden. Mir war von Anfang an klar, dass ich diesen Wettbewerb gewinnen wollte, und dementsprechend konstruierten wir das Projekt von Beginn an mit der maximalen Publikumswirkung im Hinterkopf. Zu unserer großen Freude wurde PIRATE SMOOCH tatsächlich vom Stuttgarter Trickfilmfestival 2017 ausgewählt.

ITFS Trailer 2017: PIRATE SMOOCH

Als es etwa ein halbes Jahr später daran ging, unser Diplomprojekt zu planen, befanden wir uns in der schönen Position, bereits einen Publikums-Hit produziert zu haben. Wir verspürten keinen starken Druck, uns nochmal derart zu beweisen. Stattdessen entschieden wir uns dazu, etwas Experimentelles zu wagen. Denn Gelegenheiten, die Art von Film zu machen, den man wirklich machen will, ohne anderen Rechenschaft schuldig zu sein (und seien diese Anderen auch nur Filmförderungen), sind sehr selten. Da Carol und ich Freunde des Horrorgenres sind, im Speziellen des surrealen Horrors, wie man ihn bei Lynch, Cronenberg, oder auch bei den Brothers Quay findet, dachten wir in diese Richtung weiter.  

Ideenfindung und rhythmische Erzählungen

Wir fingen also an, einen Plot zu schreiben, wobei das Narrative zu Beginn im Hintergrund stand. Das Prinzip Drehbuch halte ich für unglaublich überbewertet im Animationsfilm. Stattdessen versuchten wir in mehreren Sitzungen, quasi durch „Stream-of-Consciousness-Übungen“, ein Repertoire von Bildern zu ersinnen.

 

Nach einer Weile kamen wir auf die Bilder „der Katze mit menschlichem Antlitz“ sowie dem Prinzip „des Wissenschaftlers und des Backpackers“, die in unserer Welt als Gegensätze zueinander funktionieren. Ein weiteres Spannungsfeld wäre der Gegensatz von endloser Reflektion ohne Aktion, repräsentiert durch den Protagonisten N., sowie endlose Aktion ohne Reflektion, die der Schwarm der Backpacker verkörpert.

Relativ bald fingen wir an, uns Visuals zu überlegen und erste Sequenzen in einem Storyboard zu Papier zu bringen. In Animatics experimentierten wir auch mit dem Sound, den wir so groß und bombastisch wie möglich aufziehen wollten. Da der Film keine Sprache beinhalten sollte, wollten wir die Kommunikation von N. mit dem „Schwarzen Stern“ durch Musik stattfinden lassen.

 

Dass der Film von einem Rhythmus statt einer klassischen Story vorangetrieben werden sollte, damit hatten wir schon bei PIRATE SMOOCH gute Erfahrungen gemacht und wollten das wieder aufgreifen. So waren die ersten Monate der Produktion von schier endloser Iteration am Animatic geprägt.

Die beiden Regisseure Carol und Tobias

Das besondere Etwas

Ein Designfaktor, der uns sehr lange beschäftigte, war der des Hauptcharakters N.. Wir wollten etwas, das sich einzigartig und besonders anfühlt. Die Myriade an Skizzen, die ich in dieser Zeit anfertigte, waren recht bizarr (es entstanden viele gnomartige, verwachsene Zyklopen). Das besondere Etwas fehlte aber noch.

 

Bei einem zufälligen Experiment passierte es dann, dass ich, eher aus Scherz, das Gesicht eines verschreckt dreinblickenden Schauspielers aus einem Kurosawa-Film auf unseren Charakter setzte. Schnell war klar: Wir hatten unser besonderes Etwas gefunden. Es folgten zahlreiche Tests, in denen wir die abgefilmten Gesichter von Studienkollegen auf 3D-Geometrie projizierten und diese durch unsere Glaskuppel verzerren ließen. Diese Tests waren so vielversprechend, dass wir schließlich mithilfe unserer fantastischen Producerin Laura Messner einen Hauptdarsteller fanden.

 

Klingt vielversprechend

Um dem Film seinen sehr spezifischen Klang zu verleihen, arbeiteten wir während der gesamten Projektzeit mit unseren Sound- und Musikprofis Mark Fragstein (Sound Design) und Alexander Wolf David (Musik) zusammen.

 

Unsere frühen Layouts hatten wir u.a. mit einer Mischung aus den Soundtracks von AKIRA, Sounds aus dem Videospiel INSIDE und einem Song der Band The Algorithm vertont (TROJANS). Während das Sound Design schnell relativ klar war, gestaltete sich die Entwicklung der Musik schwieriger. Wer schonmal Layout-Musik in einem Animatic benutzt hat, kennt das Dilemma: Man verliebt sich beim ständigen Schauen in diese Musik, sodass man danach Schwierigkeiten hat, sich an die eigens komponierten Stücke zu gewöhnen.

Nach dem Studium…

Die Fertigstellung verzögerte sich zunächst etwas, aber als wir 2019 beide unser Studium beendet haben, freuten wir uns, den Film endlich zeigen zu können. Als etwas später die Pandemie ausbrach, fühlte es sich auf einmal seltsam an, MULM nochmals anzuschauen.

 

Der selbstisolierte Protagonist in steriler Umgebung, das kreisförmige Zeichen am Himmel, mit dem er obsessiv versucht zu kommunizieren, die leere Welt voller Maskenträger. Ich bin kein spiritueller Mensch, aber manchmal frage ich mich, ob der Ansatz des „Stream of Consciousness“ nicht doch ab und an etwas fast Magisches an sich hat.

 

Ein großer Dank muss an dieser Stelle auch an zwei Leute gehen: Zum einen an Arash (Seyed Ahmad Hosseini). Unser Technical Director, ohne dessen unglaubliche Tools und Systeme keines unserer Akademieprojekte das Licht der Welt erblickt hätte. Arash hat inzwischen die Welt des Films verlassen und promoviert in Köln zum Thema Künstliche Intelligenz. Die andere Person ist unser Senior Lecturer Phil Hunt vom Studio AKA. Phil ist ein fantastischer Regisseur mit einem enzyklopädischen Wissen über quasi die komplette Geschichte der Medien und Kunst. Sein Feedback hat sehr geholfen, den Film zu formen und alles an Wirkung heraus zu holen, was wir konnten.

Concept Art zu MULM

Natürlich geht der Dank auch an das Animationsinstitut und alle unsere Mitstudierenden und Mitarbeitenden. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die Entscheidung, an der Filmakademie zu studieren, die beste Entscheidung meines Lebens war. Ob es die Jobs sind, die ich jeden Tag mache, die Publikumslieblinge oder die seltsamen Kunstfilme, die man dort produziert: Erst durch die Erfahrungen, die ich in Ludwigsburg machen durfte, ist das alles möglich geworden.

 

Carol und ich arbeiten immer noch zusammen. Nach dem abgeschlossenen Studium waren wir für sechs Monate bei Axis Studios in London und Glasgow, wo wir Regie für zwei spannende Projekte führen durften. Seit Mitte 2020 wohnen wir beide in Leipzig und sind momentan als Art Directors für den Film ELLI von Eagle Eye tätig. Ich selbst mache auch seit einer Weile eigene Kurzfilme in Blender Grease Pencil.

 

Solltet Ihr Interesse an meinem Stuff haben, würde ich mich freuen, wenn Ihr mir auf YouTube oder auf Instagram folgt.

 

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