Inspiriert von Modeschöpfer Alexander McQueen und Philosoph Immanuel Kant, wagte sich Aleksej Skrypnik für sein Diplom an ein dunkles Thema und beschäftigte sich mit den destruktiven Seiten des menschlichen Wesens. Mit denjenigen Emotionen und Trieben, die häufig verborgen bleiben, jedoch in manchen Momenten ausbrechen und dabei unglaubliche Energie entfalten können.
Verpackt in abstrakte Formen, starke Farben und umrahmt von einem gewaltigen Soundkonzept, zeigt Sanity’s Prison was passiert, wenn Wut, Sucht und Ungeduld zum Vorschein kommen: Wie in einem Gefängnis versucht sich der Verstand zu widersetzten, die Emotionen im Zaum zu halten und wieder wegzusperren.
Lies weiter, sieh dir Sanity’s Prison an und erfahre mehr über die Idee hinter dem eindringlichen Kurzfilm.
Ursprünglich wollte ich eine Ansammlung von kleinen Übungen mit verschiedenen FX-Setups machen. Die Effekte sollten alle in Kuben stattfinden und in der Isometrie gezeigt werden. Als ich die ersten Ideen gesammelt habe, ist mir aufgefallen, dass die typischen Effekte, die ein FX Artist bearbeitet, häufig mit Zerstörung und Gewalt zu tun haben. Einstürzende Bauten, Explosionen, Feuer, Scherben, Schusswunden, verspritztes Blut, usw.
Diese Gewalt und Zerstörung erleben wir in unserem westlichen Alltag mit eigenen Augen nur sehr selten bis gar nicht. Friedlichkeit, Geduld und Diplomatie werden wertgeschätzt. Gleichzeitig haben wir aber eine starke Resonanz damit. Als Lichtspielspektakel ist sie ein sehr beliebtes Thema.
Dass einem mal der Kragen platzt und man selbst von der Wut überwältigt wurde, haben sicherlich auch schon viele erlebt. Man ist dann vielleicht überrascht, bereut es vielleicht hinterher und es passiert nicht häufig. Aber es passiert.
Diesen Zwiespalt fand ich sehr spannend und wollte diese „zerstörerische Energie“ in einem abstrakten Kunstwerk einfangen. Kombiniert mit der anfänglichen Kubenidee, erwuchs die Idee eines abstrakten Gefängnisses des Verstandes, das zerstörerische Impulse beherbergt. Dem Sanity’s Prison. Das war der anfängliche Arbeitstitel und er blieb bis zum Schluss.
Alexander McQueens Modeschau „Voss“ war eine meiner ersten Assoziationen und Vorbild. In seiner Welt des Schönen kommt am Ende unerwartet eine abstoßende, groteske Gestalt zum Vorschein. Gleichzeitig wird klar, dass sie schon die ganze Zeit da war. Einer solchen Ambivalenz wollte ich mich auch bedienen.
Ebenso wollte ich mein inhaltliches Verständnis vertiefen und habe mich mit der Philosophie von Immanuel Kant sowie mit analytischer und zeitgenössischer Psychologie beschäftigt. Dabei fand ich besonders den Satz „we […] can intend what we do not desire, and desire what we do not intend”* besonders treffend für den Zwiespalt, den ich erforschen wollte.
*Roger Scruton, Kant: A Very Short Introduction, 2001, Seite 92
Es geht um Seiten des menschlichen Geistes, derer sich ein Mensch bewusst sein kann, die rational abstoßend, aber gleichzeitig emotional verlockend sind. Die Seiten des Geistes, die er verbannt halten will. Seiten, von denen er weiß, dass sie bei vernachlässigter Auseinandersetzung und entsprechendem Umfeld die Oberhand gewinnen können.
Das ist ein Thema, das sich durch die gesamte literarische Geschichte zieht. Angefangen bei Religion und Philosophie, über analytische Psychologie, bis in die zeitgenössische Psychologie.
Beispiele hierzu wären:
Religion: Christentum mit Tugenden vs. Sünden
Philosophie: Immanuel Kant mit Kategorischem vs. Hypothetischem Imperativ
Analytische Psychologie: Sigmund Freud mit Über-Ich vs. Es
Zeitgenössische Psychologie: Präfrontaler Cortex vs. Limbisches System
Die drei Zellen sind eine exemplarische Auswahl solcher destruktiven Seiten.
Wut: Die "einfache" Problemlösung. Was im Wege steht, wird auseinandergenommen und eliminiert.
Sucht: Das Verlangen nach sofortiger Befriedigung (engl. instant gratification). Belohnungsaufschub für höheren Gesamtprofit wird übergangen.
Ungeduld: Verlust an Vertrauen. Verlust des Glaubens daran, dass der aktuelle Weg zum Erfolg oder Erfüllung führt. Ein Misstrauen, das sich staut und, sobald es platzt, sich neue Wege sucht.
Jeder Mensch trägt Zerstörungspotenzial für sich und andere in sich. Es ist ein ruhendes, verborgenes Potenzial. Sich des Potenzials bewusst zu werden, stärkt die Fähigkeit, wirklich moralische Entscheidungen zu treffen.
Die größte Herausforderung war, das künstlerische Erzeugnis in ein Medium zu packen. So war das Projekt nicht unbedingt von Anfang an als Film geplant. Vielmehr habe ich daran gearbeitet, verschiedene Ideen wie Abstraktion, Zerstörung, Moral, Konflikt, Container, Wiederkehr, Philosophie und Psychologie miteinander zu verbinden, ohne an ein konkretes Endprodukt zu denken. Ich wusste, dass es eine abstrakte Animation werden soll, aber was genau herauskommt, wollte ich zu Beginn nicht festlegen. Dieser Erkundungsaspekt hat das Projekt für mich besonders spannend gemacht. Letztendlich kamen kubische Kammern mit wiederkehrenden Animationszyklen heraus. Dieser bestand aus Ruhe, Ausbruch, Kampf, Vereitelung, Rückkehr zur Ruhe und dem Wiederbeginn. Drei Varianten dieses Zyklus haben wir umgesetzt.
An einem Punkt im Projekt standen wir vor der Frage, wie wir diese Zyklen präsentieren. Eine Installation oder ein Film waren die Favoriten. Wir entschieden uns für das letztere. Kaspar Zoth, unser Editor, sowie die Stunden in der Schnittberatung waren eine Riesenhilfe, um aus der künstlerischen Idee letztendlich einen Film zu machen.
Richtig gut lief die Zusammenarbeit mit Tina Vest, meiner Producerin. Ihr pragmatischer Blick und mein Experimentierdrang haben sich wunderbar ergänzt. Auch hat sie mir von Anfang an sehr hohes Vertrauen entgegengebracht. Besonders in der anfänglichen Gestaltungsphase, als die Idee noch sehr lose und wirr war, hat mir das sehr viel Freiheit geboten.
Außerdem waren wir beide sehr bestrebt, den Zeitrahmen unbedingt einzuhalten. Obgleich das Projekt ein Semester später angefangen hat als andere Diplomarbeiten und trotz diverser Rückschläge, konnten wir das Projekt pünktlich abgeben. Eine klare Anforderungshierarchie und die Bereitschaft, gegebenenfalls Sachen wegzulassen, waren der Schlüssel zum Erfolg.
Zuerst habe ich meine Liebe zur Computergrafik entdeckt. Die Liebe zur Animation folgte später. Als Kind und Jugendlicher habe ich viel Zeit mit Filmen, Animationsserien und Videospielen verbracht. Dabei übten die Serien wie ReBoot und Beast Wars mit dem deutlichen 3D Look besondere Faszination auf mich aus. Auch haben mich die Cinematics von Videospielen, wie Starcraft und Warcraft ins Staunen versetzt. Das hat mich dazu bewegt, etwas Künstlerisches beruflich machen zu wollen. Während eines angefangen Architekturstudiums habe ich gemerkt, dass mir der Umgang mit CAD und Visualisierungssoftware besonders Spaß macht. Nach einem Jahr bin ich dann zu Virtual Design gewechselt, einem Studiengang, der sich genau auf das fokussiert. Unter all den verschiedenen Disziplinen, die wir dort gemacht haben, gefiel mir Animation und 3D Visualisierung am meisten. So habe ich dann für meine Bachelorarbeit den 3D Animationsfilm CRYSTALLOtroph erstellt. Damit habe ich mich dann bei der Filmakademie beworben, in der Hoffnung, angenommen zu werden, um mein Wissen und Können noch weiter auszubauen. Es hatte geklappt :)
Nach dem Diplom habe ich mich der CGI-Agentur unexpected in Stuttgart angeschlossen. Hier mache ich verschiedenste FX-Setups mit SideFX Houdini. Die Projekte dauern meist drei bis sechs Wochen und sind sehr abwechslungsreich. Blitze, Feuer, Wasser, Partikel, realistisch, abstrakt, es ist wirklich alles mit dabei.
Aleksej Skrypnik wurde 1988 in Dnepropetrowsk geboren und zog 1997 nach Deutschland. Nach dem Abitur studierte er Virtual Design an der Hochschule Kaiserslauten. Von 2016 bis 2019 widmete er sich dem Animationstudium am Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg.
Filmografie
2019 Sanity's Prison (Kurzfilm), Regisseur, Filmakademie Baden-Württemberg
2016 CRYSTALLOtroph (Kurzfilm), Regisseur, UAS Kaiserslautern