Vom Verfall zur Blüte: WRAPPED

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Redaktioneller Hinweis: Folgender Artikel ist im Rahmen der Jubiläumspublikation „20 Years 20 Projects“ des Animationsinstituts entstanden. In dieser Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des Instituts wurden 20 ikonische Projekte aus der bewegten und bewegenden Geschichte des Animationsinstituts vorgestellt. Den untenstehenden Artikel verfasste Filmakademie-Alumna Andrea Block über das Projekt WRAPPED.

 

Über Andrea Block

 

Andrea Block arbeitet als Produzentin und Regisseurin. Sie ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von Luxx Film und Luxx Studios in Stuttgart, wo sie Filme mit hohem VFX-Anteil und Animationsfilme produziert. Außerdem bietet sie VFX- und Animationsdienstleistungen an. Nach einem Abschluss in der Mathematik und den Naturwissenschaften am West College of Saratoga in Kalifornien und einem Bachelor in Architektur an der Universität Stuttgart begann Andrea ein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg, das sie 2003 abschloss.

 

Neben vielen anderen Produktionen war sie an der Entstehung von Filmen wie ROMMEL, WHITE HOUSE DOWN, GRAND BUDAPEST HOTEL, INDEPENDENCE DAY: RESURGENCE, MANOU und TAFITI beteiligt.

 

Andrea ist Mitglied der Deutschen Filmakademie, der VES und des AMCRS und ist Vizepräsidentin des Fördervereins der Filmakademie Baden-Württemberg.

Über das Team von WRAPPED

 

Roman Kälin (oben rechts) hat sich nach seinem Abschluss an der Filmakademie in Zürich in der Schweiz niedergelassen. Angefangen als One-Man-Show, leitet er heute eines der größten Schweizer Studios für Animation und visuelle Effekte, das PULK-Kollektiv. Er kreiert und inszeniert Werbespots und Kurzfilme für Kunden und Publikum aus aller Welt. Seine Arbeit hat internationale Anerkennung gefunden und zahlreiche Preise gewonnen, darunter eine Emmy-Nominierung.

 

Falko Paeper (unten links) begann nach seinem Abschluss am Animationsinstitut im Jahr 2014 als freiberuflicher Compositor für Studios wie Psyop LA und Parasol Island zu arbeiten. 2016 wurde er dann von Polynoids Animationsstudio Woodblock eingestellt, wo er seither als VFX- und CG-Supervisor tätig ist. Während seiner Zeit bei Woodblock hatte er die Möglichkeit, mit internationalen Kunden wie Apple, Nike, Adidas, Playmobil und vielen anderen zu arbeiten.

 

Florian Wittmann (unten rechts) arbeitete in den ersten Jahren nach seinem Abschluss an der Filmakademie zunächst als Freelancer für verschiedene Firmen, bevor er sich 2016 dem großartigen Team von Woodblock anschloss. Dort konzentrierte er sich hauptsächlich auf Shading & Lighting sowie Pipeline-Entwicklung. Nach einigen spaßigen und herausfordernden Projekten zog er in den Großraum München und arbeitete als CG-Supervisor bei BigHugFX, einem kleinen, aber ambitionierten VFX-Studio. Dort hatte Florian die Möglichkeit, an einigen tollen Spielfilmprojekten mit einem erfahrenen und leidenschaftlichen Team zu arbeiten. Im Jahr 2021 wechselte er zum Studio Isar Animation.

Vom Verfall zur Blüte – Artikel von Andrea Block

WRAPPED (2014) ist ein VFX-Kurzfilm von Roman Kälin, Falko Paeper und Florian Wittmann, der ursprünglich 2014 veröffentlicht und auf über 100 Festivals gezeigt wurde. Der Film erhielt weltweit viele hochverdiente Preise. Der Kurzfilm thematisiert die Auswirkungen von Wachstum und Verfall im Laufe der Zeit. Dabei konzentriert sich der Film auf den Übergang zwischen Natur und den von Menschen geschaffenen Strukturen, die als gegensätzliche Pole fungieren. Das Team hat hervorragende Arbeit geleistet, indem es die vollständig CG-generierte Welt mit Zeitrafferaufnahmen und einer animierten Figur kombiniert hat. Die visuellen Effekte werden als überzeugendes Storyelement eingesetzt.

WRAPPED

WRAPPED ist nicht nur visuell schön und erzählt eine intelligente, komplexe Geschichte, sondern steht auch für das einzigartige und inspirierende Umfeld des Animationsinstituts an der Filmakademie Baden-Württemberg. Das Animationsinstitut ist regional in Ludwigsburg verwurzelt, bildet die Studierenden vor Ort aus, ist gleichzeitig aber bestens mit der internationalen Industrie vernetzt, die sich jedes Jahr auf der FMX in Stuttgart trifft. Die FMX ist wie ein Schaufenster für die besten VFX- und Animationsarbeiten. Die Filmakademie organisiert die FMX, um Professionals durch Fachvorträge untereinander und mit Studierenden zu vernetzen. So lässt sich die Kluft zwischen dem Studium und dem späteren Berufsleben leicht überbrücken.

 

Im Jahr 2011 studierten die drei Hauptverantwortlichen von WRAPPED am Animationsinstitut und produzierten den Teaser A.MAIZE für die FMX. Die Studenten ließen Mais zu riesigem Popcorn explodieren und tauchten Stuttgart, die Animations- und VFX-Metropole, in ein Meer bestehend aus dem beliebten Kinosnack. Frische Ideen, verkörpert durch riesige Maiskörner, drangen in die Stuttgarter Innenstadt ein. Es war das Team von WRAPPED, das diese intelligente und unterhaltsame VFX-Geschichte geschaffen hat. Dieses frühe Werk zeigt, was junge Talente schaffen können und demonstriert ihre Entwicklung, die sie im Laufe ihres Studiums am Animationsinstitut durchgemacht haben.

A.MAIZE Trailer

Das Animationsinstitut ist berühmt für großartige Animations- und VFX-Kurzfilme, weil es ein „safe space“ für winzige, aufkeimende Ideen ist, die hier gedeihen und sich entwickeln können. Es ist ein Ort, an dem künftige Talente auf eine Weise gefördert und unterstützt werden, die es ihnen ermöglicht, sich zu großen Künstler*innen und Regisseur*innen zu entwickeln – wie es bei den Machern von WRAPPED der Fall war.

 

WRAPPED beginnt mit einer Kamerafahrt im Inneren einer Ratte, als würde eine Hightech-Endoskop-Kamera für einen medizinischen Eingriff verwendet werden. Als die Kamera mit dem letzten Atemzug der Ratte den Mund verlässt, sehen wir, wo das Nagetier gelebt hat: in den Straßen von New York City, mit all dem hektischen menschlichen Treiben und dem pausenlosen Verkehrsstau. Die Perspektive wechselt vom Mikro- zum Makrokosmos, indem wir aus dem Maul der Ratte hinausfliegen – eine physische Öffnung, über die sie Luft einatmet, Wasser trinkt und Nahrung aufnimmt, um zu überleben. Das Maul wird zum Tor zwischen der inneren und der äußeren Welt, zwischen dem Individuum und der umgebenden Gesellschaft. Geschickt inszenierte Zeitrafferaufnahmen in Kombination mit der animierten Ratte und einzelnen, begrünten Requisiten in atemberaubenden Lichtsituationen zeigen, dass die Filmemacher sowohl visuelle Effekte beherrschen als auch Respekt vor den Prinzipien von Leben und Tod haben.

Wir folgen den zarten Sprossen, die sich ihren Weg durch die Ritzen des Betons bahnen und sich als Wurzeln in einem noch stärkeren Netzwerk von Pflanzen zusammenschließen, das NYC in einer weichen grünen Hülle umschließt.

Andrea Block, Alumna Filmakademie

Zu Beginn ist der Ton minimalistisch: Eine Ratte verpufft im Prozess der Verwesung. Nach zwei Minuten Zeitraffer, die den langsamen Verfall der Zivilisation und die Übernahme durch die Natur zeigen, siegt die Natur, und die Stimmung ändert sich dank einer hoffnungsvollen und dynamischen Musik mit sanften Klängen. Die Beleuchtung wird sonniger und freundlicher und lenkt den Blick auf die stille Schönheit der Blüten, das ruhige Laub und die entstehenden Farn-Spiralen. Die Wassertanks auf dem Dach, die vollständig mit Zweigen von Kletterpflanzen bedeckt sind, sind eine besondere Hommage an NYC.

 

Diese Einstellung war nur dank der persönlichen Beziehungen des Regisseurs Roman Kaelin möglich. Die Crew machte sich extra die Mühe, zum Drehort zu reisen, um dort 4K-Aufnahmen zu machen. Die Auswahl der Schauplätze in New York zeugt von einer besonderen künstlerischen Note des Films. Für die Mitte des Films wählten sie ein Panorama auf die Natur, das NYC in einer friedlichen und ruhigen Atmosphäre zeigt. Plötzlich explodieren Pollen und Samen in der ruhigen, sonnendurchfluteten Szenerie der Brooklyn Bridge. Unterstützt durch die heftige Tonkulisse beginnt die Jahreszeit der Fruchtbarkeit, noch mehr Pflanzen und Blüten hervorzubringen. Es fühlt sich an, als würde diese neue Freiheit des zufälligen, unbegrenzten Wachstums die von Menschen errichteten Strukturen zerstören und die Ketten sprengen, die die Natur über Jahrzehnte festgehalten haben.

Unbegrenztes natürliches Wachstum kann Gefahren bergen, in WRAPPED liegt der Schwerpunkt aber nach wie vor auf der biologischen Vielfalt und auf der Rückeroberung von Gebieten durch die Natur als längst überfällige Rache. Viel zu lange hat der Mensch die Natur ausgebeutet und begrenzte Ressourcen wie Wasser und fossile Brennstoffe genutzt. Als Zuschauer*in empfindet man daher Reue und nickt anerkennend über die Rückkehr der Natur. Die Kamera geht in eine Vogelperspektive über, reist durch die Wolken und die Stratosphäre und zieht sich in den Weltraum zurück, während wir sehen, wie die Natur über die Grenzen der Stadt, des Staates und ganz Nordamerikas hinauswächst. Der Film endet mit dem Zerfall der Erde in einen Krümel – wir befinden uns wieder auf den Straßen von New York. Die Ratte vom Anfang des Films schnuppert und beißt ab – Zuschauer*innen wissen bereits, dass dies keine gute Entscheidung war – und verschluckt den verrotteten Krümel. Das Ende und gleichzeitig ein neuer Anfang.

 

WRAPPED regt uns zum Nachdenken an, dreht die Sicht der Dinge um und stellt eine alarmierende Frage: Können wir Menschen uns jemals weiterentwickeln? Oder sind wir in einem ständigen Kreislauf der Zerstörung gefangen? Solange wir nicht zu Veränderungen bereit sind, wird die Ratte als Botschafter der Natur immer wieder das gleiche Schicksal erleiden.

 

Filmposter WRAPPED

 

In der Kunst ist der Verfall die Grundlage für neue Entdeckungen. Auf den Trümmern früherer Meisterwerke werden neue Bewegungen wachsen und erblühen. Die Bilder, die WRAPPED zeigt, erinnern uns an Blockbuster, die in einem dystopischen New York City spielen, wie I AM LEGEND und PLANET DER AFFEN. Der unendliche Kreislauf des Lebens – Tiere, die fressen und gefressen werden, Leben und Tod, Neugeborene und Leichen – erhält in dem Kurzfilm eine neue Dimension. Wir folgen den zarten Sprossen, die sich ihren Weg durch die Ritzen des Betons bahnen und sich als Wurzeln in einem noch stärkeren Netzwerk von Pflanzen zusammenschließen, das NYC in einer weichen grünen Hülle umschließt.

 

Der am Animationsinstitut produzierte animierte Kurzfilm WRAPPED lief auf vielen Festivals auf der ganzen Welt und gewann verdientermaßen zahlreiche renommierte Preise. Der VES Award 2015 für das beste studentische VFX-Projekt beweist, dass die verwendeten Techniken für beispielsweise das simulierte Wachstum an CG-Bauwerken, einschließlich der realistisch animierten Ratte und aller Verfall- und Zerstörungsszenen, bereits damals atemberaubend und ausgereift waren. Darüber hinaus erzählt das Team eine universelle Geschichte mit einer metaphysischen Botschaft.

Innerhalb von 20 Jahren verbreiteten viele hochtalentierte Visual-Effects-Künstler*innen vom Animationsinstitut ihre kreativen Ideen und technischen Fähigkeiten in der VFX- und Animationswelt. In den letzten 20 Jahren haben die Leiter*innen des Animationsinstituts einen zuverlässigen Instinkt bei der Auswahl zukünftiger Talente bewiesen. Diese haben sie stets mit Sorgfalt und Wissen angeleitet, damit sie einen erfolgreichen Start in der Branche haben.

 

Die Leiter*innen des Animationsinstituts müssen dabei ein gutes Gespür für aufkommende Konflikte in der Welt, neue Forschung und inspirierende Geschichten haben. In dieser einzigartigen Umgebung werden aufstrebende Talente ermutigt, mit hochprofessionellem Input und der Unterstützung von führenden Fachleuten, in der VFX- und Animationsbranche zu wachsen.

 

Ich beglückwünsche das Team von WRAPPED zu einer fantastischen Leistung, die das wunderbare Portfolio des Animationsinstituts bereichert. Möge das Animationsinstitut auch in den kommenden Jahrzehnten eine Insel für frischen kreativen Output bleiben und sich mit inspirierenden Lehrenden und Professionals auf die nächste Stufe entwickeln. Glückwunsch an alle Mitarbeiter*innen und Leiter*innen des Animationsinstituts für die Art und Weise, wie sie ihre Studierenden kontinuierlich unterstützen, damit diese ihrerseits Teil des universellen Branchenkreislaufs werden können. Ihre künstlerischen Wurzeln formen ein Netzwerk, das Filme mit intelligenten Inhalten nährt, die durch die Kunst der Animation und der visuellen Effekte noch lebendiger und subversiver werden.

 

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