Die Gamification der Kletterhalle

Das Interaktive Medien-Startup Rocky Motion

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Nach seinem Diplom in Interaktive Medien gründete Jan Fiess ein Startup und entwickelte neuartige Klettergriffe. Die Idee dazu hatte der Creative Technologist schon lange. Am Animationsinstitut bekam er das nötige Knowhow, um sie erfolgreich umzusetzen.

Jan Fiess, Alumnus Interaktive Medien

Alles begann damit, dass sich Jan Fiess und sein Kumpel Felix Hundhausen ärgerten. Die beiden Boulder- und Kletterfans kamen eines Tages in ihre angestammte Kletterhalle und mussten feststellen, dass ihre Lieblingsroute abgebaut worden war – mal wieder. Da könnte es doch auch eine andere Lösung geben, dachten sie sich.

 

Eine Kletterwand verfügt üblicherweise über mehrere Routenoptionen, die durch unterschiedliche Grifffarben zu erkennen sind. Die Farben stehen meist für verschiedene Schwierigkeitsgrade. Die Anzahl der Routen ist durch den Platz für die Griffe begrenzt. Daher verändern Kletterhallenbetreibende auf den Wänden regelmäßig die Position der Griffe, um für Abwechslung im Routenangebot zu sorgen.

 

Felix und Jan kam nun folgender Gedanke: Wären Klettergriffe nicht nur einfarbig, sondern könnten stattdessen in verschiedenen Farben leuchten, hätte die Wand durch verschiedene Leuchtvarianten mehr Routen. Anhand der Lichtprogrammierung ließen sich so zudem Kletterrouten nach den Bedürfnissen der Kletternden anpassen, ohne die Wand dafür umbauen zu müssen. „Die Idee klang zunächst einfach“, erzählt Jan heute, „man kann die Farben doch auch einfach mit LEDs machen!“

Was, wenn Kletterwände interaktiv wären?

Die beiden dachten aber noch einen Schritt weiter: Was, wenn die Griffe nicht nur leuchten, sondern auch interaktiv wären. „Dafür, so unser Gedanke, müssten die Klettergriffe touchsensitiv sein“, erklärt Jan weiter. „Neben dem Leuchtmittel, das zeigt, wo ich bin und wo ich hinmuss, bräuchte es also zusätzlich ein Feedback.“

Der Griff könnte so als Interface genutzt werden, wodurch sich an der Kletterwand etwa auch Spiele spielen ließen. „Das sollte funktionieren wie bei einer Maus oder Tastatur, die an einem Computer das Interface sind, um in einem Computerspiel interagieren zu können“, erläutert er, „hier wären es dann die touchsensitiven Griffe. Um die erreichen zu können, musst du eben klettern.“

 

Felix und Jan beschlossen, ihren Einfall weiterzuverfolgen. „Wir begannen zu basteln und zu tüfteln.“ Jan studierte damals Audiovisuelle Medien an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart und hatte sich auf das Feld interaktive Medien im Raum spezialisiert. Felix studierte Mechatronik und brachte das technische Knowhow mit, die es für die Elektronik der Griffe bedurfte.

 

Ihr Tüfteln floss schließlich 2014 in eine eventmediale HdM-Studienarbeit von Jan ein. Sie bestand aus einer interaktiven Kletterwand, die als Computerspiel funktioniert. Das Spiel, das er dafür entwickelte, nennt sich PSYCHOPATH. Spielende haben dabei die Aufgabe, durch Klettern ein neuronales Netz von kranken Hirnregionen zu befreien.

PSYCHOPATH

Von den interaktiven Griffen hatte Jan bis dahin mit seinem Team einen Prototyp erstellt. Die technische Interaktion geschah jedoch noch vor allem über ein großes Display, das als Kletterwand fungierte. „Die Technik war noch ziemlich ungeschliffen“, gibt Jan zu, "User-Testings zeigten uns die Grenzen unserer damaligen Software und vor allem Hardware, was uns vor gewaltige Herausforderungen stellte."

 

Nachdem er den Bachelorabschluss an der HdM in der Tasche hatte, wollte er die Kletterwand weiterentwickeln. Er hatte jedoch das Gefühl, sich dafür noch mehr Knowhow aneignen zu müssen. Seiner Ansicht nach galt es etwa, seine Programmierkenntnisse zu erweitern. Zudem war es sein Plan, sich noch weiter mit interaktiven Medieninstallationen zu beschäftigen.

 

„Ich wollte meinen Werkzeugkasten erweitern, den ich fürs Weiterdenken der Klettergriffe benötigte.“ Bei der Suche nach Optionen stieß er auf die Studienvertiefung Interaktive Medien am Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg. Dieses Studium erschien ihm perfekt geeignet, um sich sowohl in technischer als auch künstlerischer Hinsicht weiterzuentwickeln.

Am Animationsinstitut reift die Erfindung

Tatsächlich zahlte sich die Entscheidung aus: „Ich habe dort aus der interaktiven Kletterwand zwar kein Studienprojekt gemacht, aber ich konnte bei anderen Projekten mit Techniken und Konzepten experimentieren, die mir dafür zugutekamen“, sagt Jan rückblickend. So sei etwa in seinem Diplomprojekt SIX HATS schon das Toolkit zu erkennen, das schließlich für die heutigen Klettergriffe relevant wurde.

 

Bei seiner Diplominstallation handelte es sich um eine spielerisch-interaktive Medieninstallation, die aus einer Touch-Display-Bühne besteht, sowie sechs leuchtenden Helmen für die Userinnen und User. Durch Lautsprecher, dem Bühnenboden und die Helme bekommen die Spielenden audiovisuelle Anweisungen, bei denen sie mal zusammen mal gegeneinander in Reaktion auf das System handeln müssen. Inhaltlich ist SIX HATS zugleich Spiel und soziales Experiment.

 

„Das Animationsinstitut ist eine riesige Spielwiese, wo man ein bisschen machen kann, was man will“, bewertet Jan seine Zeit des Studiums in Ludwigsburg rückblickend, „dabei kommt man nicht nur inhaltlich, sondern auch auf empathischer Ebene weiter.“ Durch die Vielzahl an Projekten, bei denen er im Lauf seines Studiums mitwirkte, hätte er „sehr viele inspirierende, motivierte und begabte Leute kennengelernt“.

Unter anderem Patrick Kuhn Botelho. Dieser studierte Musikdesign in Trossingen und machte sein Praxissemester am Animationsinstitut im Bereich Interaktive Medien. Am Institut entwickelte er dabei für mehrere Projekte Musik und Sounddesign. Nach seinem Abschluss in Trossingen studierte er später Filmmusik an der Filmakademie.

 

Heute ist Patrick bei den Klettergriffen Jans wichtigster Partner. „Wir saßen in demselben Arbeitsraum, so haben wir uns kennengelernt“, erinnert sich Patrick. Als Jan sein Diplom hatte, erzählte er ihm auf der Wiese des Filmakademie-Campus von der Idee mit der Kletterwand, die er nun mit einer Firmengründung umsetzen wollte. Jan fragte Patrick, ob er dafür das Audio-Development übernehmen möchte. Er stimmte sofort zu.

Nach der Gründung viele Learnings

„Nach meinem Abschluss 2020 ging’s dann Hals über Kopf in die Selbstständigkeit“, sagt Jan. Bei der Weiterentwicklung der Griffe half ihm neben Patrick noch immer Felix, der mittlerweile einen Master in Elektrotechnik hatte und nun in Karlsruhe promoviert. Zudem war in seinem Team der IT-Entwickler Marius Heil, mit dem Jan bereits an der HdM bei der PSYCHOPATH-Installation zusammenarbeitete.

 

Sie nannten das Startup Rocky Motion und hatten das Ziel, die interaktive Kletterwand auf den Markt zu bringen. „Dafür brauchten wir natürlich erst einmal Geld“, erinnern sich Jan und Patrick.

„Das Animationsinstitut ist eine riesige Spielwiese, wo man ein Stück weit machen kann, was man will und dabei nicht nur inhaltlich, sondern auch empathisch weiterkommt.“

Jan Fiess, Creative Technologist & Interaktive Medien-Alumnus

„Unter anderem führte das dazu, dass wir uns um Förderungen beworben haben“, sagt Patrick. Bei einem Programm des Bundeswirtschaftsministeriums setzte sich Rocky Motion trotz zahlreicher Konkurrenz tatsächlich durch. Der Deal war am Ende, dass das Ministerium 55 Prozent des benötigten Kapitals bereitstellt, für 45 Prozent mussten sie selbst sorgen. Es ging um Hunderttausende Euro.

 

„Dann haben wir ein Dreivierteljahr rumgeeiert, um Investoren zu finden“, erzählt Komponist Patrick weiter. Den Banken erschien das Vorhaben allerdings immer zu riskant. „Wir haben etliche Finanz- und Businesspläne geschrieben und dann wieder weggeschmissen“, erinnert er sich. „Irgendwann wurde uns klar, das Ganze in dem Maßstab weiter anzugehen, wird uns zu groß.“

 

„Wir haben selbst viel Geld in die Entwicklung investiert und dann festgestellt, dass wir nur noch Businesspläne schreiben und gar nicht mehr in unseren eigentlichen Bereichen arbeiten“, betont Jan, „wir wollten inhaltlich nicht einschlafen!“ So ließ Rocky Motion schließlich im Jahr 2021 die Chance des Bundesministeriums fallen und führte die Firma lieber in einem kleineren Rahmen weiter.

 

„Wir hatten schon länger Kontakt mit dem österreichischen Hersteller von Kletterwänden und -griffen Art Rock“, erklärt Patrick. „Wir verstehen uns mit der Geschäftsführung dort sehr gut. Die holten uns dann als Partner an Bord.“ In Österreich entwickelten sie die Hardware gemeinsam mit Art Rock weiter. Im Winter 2022, so der Plan, soll der interaktive Klettergriff marktreif sein.

Die Hardware steht, jetzt geht’s um die Anwendung

Das Gute daran sei laut Jan, dass sie sich nicht mehr zu 100 Prozent der Firma widmen müssen, samt der schlaflosen Nächte wegen der finanziellen Lage. Patrick komponiere nun wieder Filmmusik, zudem hat er eine Stelle an der Musikhochschule Trossingen. Jan hat vor kurzem neben Rocky Motion einen Teilzeitjob als Creative Technologist für Medieninstallationen angenommen. Er entwickelt nun Medieninstallationen, vornehmlich für Event- und Werbeagenturen. „Jetzt mache ich wieder genau das, was ich gelernt habe“, so Jan. „Ich mache viel mit Sensorik, Aktorik und mit Licht, also interaktive Mediensysteme.“

 

Dennoch versuchen die beiden noch so viel Zeit wie möglich in die Klettergriffe zu stecken. „Nun da wir bald den serienfähigen Prototypen haben, geht die eigentliche kreative Entwicklung der Anwendung erst richtig los“, betont Patrick. Derzeit arbeiten sie an verschiedenen Gameplays und Hörspiel-Storytellings.

 

Für die weitere inhaltliche Ausrichtung der Klettergriffanwendung profitierte Rocky Motion davon, dass sie 2021 beim staatlichen Förderprogramm Kultur- und Kreativpiloten 2021 ausgezeichnet wurden. „Zu diesem Programm gehört intensives Mentoring- und Coaching von Businessprofis“, erklärt Patrick, „dadurch wissen wir nun ziemlich genau, wo wir mit der Idee hinwollen.“

So konzentrieren sie sich nun verstärkt auf einen eventmedialen Ansatz mit einem Schwerpunkt auf das Thema Teambuilding. Da haben sie insbesondere Serienhörspiele im Sinn, bei denen Teams bestimmte Aufgaben nur zusammen bewältigen können.

 

„Wir sind gespannt, wie alles nun weitergeht“, sagt Patrick, „best case ist, das Ding hebt dieses Jahr ab, im worst case haben wir einen guten Versuch gestartet und uns besser kennengelernt.“ Jan ist zuversichtlich, dass die Klettergriffe und ihre spielerischen Anwendungen gut ankommen. Doch allzu verbissen sieht er die Sache nicht: „Das konnte ich auch von meiner Zeit am Animationsinstitut mitnehmen. Da wurde immer betont, dass nicht immer nur das Projekt im Vordergrund stehen sollte, sondern es auch darum geht, im Team eine gute Zeit miteinander zu verbringen.“ Das komme am Ende auch der inhaltlichen Arbeit und dem Produkt zugute.

Die leitende Dozierende des Studienbereichs Interaktive Medien am Animationsinstitut Anna Brinkschulte unterstreicht, dass sich in der Klettergriff-Idee von Rocky Motion die Innovationskraft des sogenannten Gamification-Ansatzes widerspiegelt. Dieser ist ein zentraler Bestandteil des Studienbereichs Interaktiver Medien: „Das Studium folgt dem Leitgedanken ,Games & Beyond‘“, erklärt sie. „Im Mittelpunkt steht das soziale wie spielerische Zusammenwirken von Usern mit medialen Möglichkeiten.“

 

Man könnte sich fragen, was denn Klettern eigentlich mit Animation und Game Design zu tun hätte. „Doch im Bereich Interaktiver Medien blicken die Studierenden darauf, wie Medien Dinge, denen wir im Alltag begegnen, beeinflussen und beeinflussen können.“ Aus dieser Perspektive werde etwa potenziell aus allem ein Spiel. Die Klettergriffe von Rocky Motion entwickelten einen analogen Sport zu einer spielerischen, interaktiven Erfahrung weiter und seien ein gutes Beispiel dafür, wie aus Alltagserfahrungen im Zusammenwirken mit Medien Innovationen werden können.

 

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