PERFECT WOMAN – Interview mit Lea Schönfelder

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Redaktioneller Hinweis: Folgender Artikel ist im Rahmen der Jubiläumspublikation „20 Years 20 Projects“ des Animationsinstituts entstanden. In dieser Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des Instituts wurden 20 ikonische Projekte aus der bewegten und bewegenden Geschichte des Animationsinstituts vorgestellt. Das untenstehende Interview führte Alumnus Julian Jungel mit Alumna Lea Schönfelder über das Projekt PERFECT WOMAN.

 

Über Julian Jungel

Julian Jungel leitet das „Labor für Digitalität“ an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, in dem es darum geht, dass Storytelling, Handwerk und Theater auf digitale Technik treffen. Gemeinsam mit dem M.A. „Spiel und Objekt“ werden partizipatorisches Theater, Mixed Reality Games und andere Formate geschaffen, um soziale Aspekte, unser Leben auf der Erde und die Rollen von Mensch und Technik zu hinterfragen. Julian hat auch an der Gründung von Tinkertank mitgewirkt, einer gemeinnützigen Initiative zur Wiederbelebung von Kreativität mit Hilfe von Technologie. Tinkertank arbeitet mit Unternehmen, Städten und Gründerzentren zusammen, um unterhaltsame und inspirierende Wege zu finden, das Zusammenspiel von Technologie, Kultur, Wissenschaft und Digitalisierung zu diskutieren.

Über Lea Schönfelder

Lea Schönfelder ist Mitgründerin des Berliner Spielestudios Fein Games, das Spiele von Frauen für Frauen entwickelt. Sie hat internationale Erfahrung bei Unternehmen wie ustwo games, wo sie als Lead Game Designer für den Apple Arcade Titel ASSEMBLE WITH CARE mit einem BAFTA Breakthrough ausgezeichnet wurde. Schon während ihres Studiums interessierte sich Lea für die weibliche Perspektive im einst männerdominierten Medium Games und trägt mit ihrer Arbeit weiterhin zur Entwicklung und Öffnung der deutschen Gameskultur bei.

The Female Move von Julian Jungel

Um über PERFECT WOMAN (2014) zu schreiben, habe ich ein Gespräch mit der Schöpferin des Spiels geführt. Lea Schönfelder gründete 2021 mit Franziska Zeiner Fein Games, ein von Frauen geführtes Spielestudio, das Spiele für Frauen entwickelt.

 

Julian: Hallo Lea, schön, dich wiederzusehen!

 

Lea: Es ist auch schön, dich wiederzusehen!

 

J: PERFECT WOMAN kam vor acht Jahren heraus. Wenn Du jetzt zurückblickst, was ist deiner Meinung nach das Beste am Spiel und was sollten SpielerInnen aus deinem Spiel mitnehmen?

 

L: Gute Frage. In dem Spiel geht es im Grunde darum, eine mehr oder weniger perfekte Lebensgeschichte zu „tanzen“. Der Spieler muss eine Performance abliefern, die durch den Kinect-Bewegungssensor bewertet wird. Das Spiel ist humorvoll und leicht ironisch, und es ist einfacher und man hat mehr Spaß, wenn man ein nicht ganz perfektes Leben führt. Ich finde diesen zentralen Punkt immer noch wichtig – die Frage: „Wie perfekt muss man eigentlich sein?“ Und um ehrlich zu sein, finde ich, dass das immer noch eine schwierige Frage ist, vor allem, wenn es um Frauen geht. Denn es muss auch möglich sein, eine Karriere und Kinder zu haben. Es wäre zu einfach zu sagen: "Ja, entscheide dich nur für eines der Dinge, du kannst nicht beides haben".

Ich finde diesen zentralen Punkt immer noch wichtig, die Frage: ‚Wie perfekt muss man eigentlich sein?'

Lea Schönfelder, Alumna Interaktive Medien

Ich bin stolz darauf, dass diese grundlegende Frage so eng mit der Spielmechanik von PERFECT WOMAN verknüpft ist. Man spürt diese Herausforderung körperlich, wenn man versucht, eine perfekte Frau zu sein. Dass das Spiel auch heute noch auf Festivals oder in Einrichtungen wie dem Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe gespielt wird, zeigt seine Aktualität.

 

J: Und wie „perfekt“ bist Du selbst gemessen an der PERFECT WOMAN-Skala?

 

L: Haha, das ist gar nicht so einfach zu sagen. Ich würde gerne sagen, dass ich nicht perfekt bin, aber ich weiß auch, dass ich nicht völlig frei von Druck bin. Im Moment bin ich zum Beispiel völlig erschöpft, weil die letzten sechs Monate sehr arbeitsreich waren. Unser eigenes Unternehmen. Wir haben in London gelebt, weil mein Partner auch berufliche Ambitionen hat. Der Umzug zurück nach Deutschland. Und das mit einem kleinen Kind. Das war alles viel zu viel und ich glaube, ich brauche erstmal vier Tage auf der Couch. Aber man tut, was man kann: Bei Fein Games haben wir zum Beispiel einen 6½-Stunden-Tag, um eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen. Im Moment arbeiten wir alle remote, aber ich bin mir nicht sicher, ob das für die geistige Gesundheit eher förderlich oder schädlich ist – wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Auf jeden Fall ermöglicht es uns allen, unser Leben relativ frei zu gestalten. Als Gründerin habe ich natürlich trotzdem jede Menge Stress – aber auch viel Spaß!

 

J: ...und euer erstes Spiel kommt nächstes Jahr heraus, richtig?

 

L: Ja, das ist richtig. Wir werden seit Mitte 2021 finanziert und konnten einige Leute einstellen. Daraufhin haben wir einen Investor gefunden. Wir haben vier Level gebaut und stehen kurz vor unserem ersten Soft Launch, damit wir in der „echten Welt“ testen können – in unserem Fall in den Niederlanden. Wir fangen also erst einmal klein an, um zu sehen: Was gefällt den SpielerInnen, an welchen Stellen steigen sie aus, kommt es überhaupt gut an?

J: In Eurem aktuellen Spiel geht es um drei Frauen aus verschiedenen Generationen. Ich habe irgendwo gelesen, dass es eine Art interaktiver Roman sei?

 

L: Das war unser frühes Konzept. Die Spielmechanik ist ein Hidden-Object-Spiel. Die Geschichte ist uns sehr wichtig, und das ist auch einer der Bereiche, wo wir uns von unseren MitbewerberInnen abheben. Wir erzählen die Geschichten von drei deutschen Frauen in Berlin: Die erste lebt in den 1940er Jahren während der Nazizeit, die zweite in den 1970er Jahren während der Flower-Power-Hippie-Bewegung und die dritte gehört zu unserer Generation. Es geht um individuelle Entfaltung und darum, inwieweit wir von unserer Umgebung beeinflusst werden. Das ist sicherlich ein ernstes Thema, und wir sind sicher, dass es dafür ein Publikum gibt. Wir gehen über die reine – sagen wir mal, leicht frivole – Unterhaltung hinaus, die natürlich auch ihren Platz hat. Aber wir glauben, dass es auch einen Markt für Geschichten gibt, die tiefer gehen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist unser Grafikstil, der moderner und meiner Meinung nach ausgefallener ist als vieles, was derzeit im App Store angeboten wird. Natürlich müssen wir dem jetzt auch Taten folgen lassen.

J: Die erste Frau aus den 1940er Jahren ist sehr stark im sozialen Kontext gefangen und heiratet einen deutschen Soldaten; die Frau aus der Hippie-Generation rebelliert gegen alles. Was ist mit der Frau, die in unserer Zeit lebt?

 

L: Die heutige Frau ist Ende dreißig, lebt in Berlin und hat einen guten Job in einer Werbeagentur. Sie kann tun und lassen, was sie will, aber es fehlt ihr an einem Sinn für ihr Leben. Sie traut sich nicht, ihren Job zu kündigen, um ihren Traum zu verwirklichen, Performance-Künstlerin zu werden. Sie ist eine Frau, in der wir, und viele Menschen unserer Generation, etwas von uns selbst wiederfinden. Und das nicht nur in Deutschland. Ich denke, die letzte Frau zeigt vor allem, wie global alles geworden ist, wie ähnlich sich die Menschen unserer Generation sind – auch wenn sie in verschiedenen Städten leben. Und dieses Gefühl, dass man kann wirklich alles machen kann. Aber was ist eigentlich das richtige Leben? Nicht nur Menschen in Berlin empfinden so, sondern wahrscheinlich auch Menschen in London oder New York und anderen Städten.

 

J: Gleichzeitig ist es aber auch ein sehr westliches Bild. In anderen Ländern der Welt ist die Gesellschaft sogar noch einschränkender als in Deutschland während den 1940er Jahren. Habt Ihr daran gedacht, auch andere Kulturen zu zeigen?

 

L: Ja, das ist ein sehr interessanter Punkt, den Du ansprichst. Wenn wir über unser aktuelles Konzept sprechen, fällt mir auf, dass ich mich manchmal fast schäme, dass wir eine so deutsche Geschichte erzählen. Aber gleichzeitig denke ich, dass es in dem Sinne gerechtfertigt ist, dass es die persönlichen Perspektiven von Franziska und mir sind, die hier erzählt werden. Wir haben ja das Studio gegründet. Und diese Geschichten über die drei deutschen Frauen sind persönlich von unseren Müttern und Großmüttern inspiriert. Aber mit Blick in die Zukunft suchen wir für das nächste Spiel einen neuen Game Director, eine Frau aus Afghanistan oder der Türkei oder einem anderen Kulturkreis, die ihre Perspektive einbringen kann. Hier bei Fein liegt der Schwerpunkt darauf, echte und persönliche Lebensgeschichten zu erzählen und echte Frauen und echte Probleme von Frauen darzustellen.

J: Als Mann muss ich sagen, dass ich mich in Eurem aktuellen Spiel genauso wiedererkennen kann wie in PERFECT WOMAN. In der heutigen Zeit sind diese Themen für alle Geschlechter relevant, nicht nur für Frauen.

 

L: Ja, absolut. Das war die Grundidee von PERFECT WOMAN. Wenn man versucht, die perfekte Frau zu werden, wird das Spiel immer schwieriger und es ist immer einfacher, wenn man, wie soll ich sagen, unkonventionelle Lebensziele hat. Heutzutage reicht es im Leben nicht mehr aus, eine tolle Karriere zu haben. Man will auch eine tolle Familie haben, eine tolle Beziehung, ständig aufregende Urlaube machen, immer auf dem Laufenden sein und so weiter.

 

Alle sind ständig auf dem Selbstoptimierungstrip und ich glaube, man muss sich manchmal wirklich fragen, ob das erstens möglich und zweitens wünschenswert ist. Viele Menschen brechen unter dem ganzen Druck zusammen: Sie posten vielleicht tolle Bilder auf Instagram, aber man weiß auch, dass die Realität oft nicht so schön ist. Ich finde es faszinierend, dass Du als Mann auch das Gefühl hast, dass das Spiel zu Dir spricht.

Tatsächlich fragen uns Leute oft, warum wir Spiele für Frauen machen und warum Männer diese Spiele nicht auch spielen könnten. Und ich denke, diese Frage hat sich auch bei PERFECT WOMAN gestellt. Die Probleme sind eigentlich keine typisch weiblichen Probleme. Ich freue mich immer, wenn Männer sagen, so wie Du es getan hast, dass auch sie das Gefühl haben, dass die Spiele für sie relevant sind. Aber abgesehen davon sind wir fest entschlossen, Spiele von Frauen für Frauen zu entwickeln, weil es einfach etwas Besonderes ist, bei der Entwicklung von Spielen an Frauen zu denken. Wenn ich mir als Frau Filme über Männer ansehe oder Computerspiele über Männer spiele, habe ich natürlich auch das Gefühl, dass sie mich ansprechen, aber es ist eine andere Art der Identifikation, wenn ich jemanden sehe, der mir ähnlicher ist. Sich in andere hineinzuversetzen ist ein intellektuelles Unterfangen, deshalb begrüße ich es sehr, wenn Männer die Rollen der Frauen in unseren Spielen übernehmen.

 

Vielleicht gibt es so etwas wie „männliche“ oder „weibliche“ Probleme per se nicht, aber es gibt sicherlich Erfahrungen, die Frauen häufiger machen. Zum Beispiel die Frau in den 1940er Jahren, die von den Schwiegereltern und den eigenen Eltern, also von allen, in eine bestimmte Rolle gedrängt wird und sich auch drängen lässt. Wenn es Männern gelingt, sich in diese Rolle hineinzuversetzen, dann würde ich das als Erfolg werten, weil ich glaube, dass das auch zu einem größeren Verständnis und letztlich auch zu neuen Denkweisen in der Gesellschaft führen kann.

Alle sind ständig auf dem Selbstoptimierungstrip und ich glaube, man muss sich manchmal wirklich fragen, ob das erstens möglich und zweitens wünschenswert ist.

Lea Schönfelder, Alumna Interaktive Medien

J: Die Frauen in Deinem Spiel repräsentieren die Lebenswirklichkeit Deiner Großmutter, Deiner Mutter und von Dir selbst. Was wünschst Du Dir für Deine Tochter?

 

L: Ich wünsche mir für meine Tochter, dass sie ihre eigenen Ziele verfolgen kann und auch die Freiheit hat, sie tatsächlich zu erreichen. Natürlich könnte sie auch feststellen, dass vielleicht nicht alle Ziele erreicht werden können. Aber ich wünsche mir eine Gesellschaft, die allen Menschen zumindest die gleichen Chancen bietet, ihr Glück zu finden.

 

J: Liebe Lea, vielen Dank für das schöne Gespräch!

 

L: Gern geschehen, es war mir ein Vergnügen.

 

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